Heutzutage gibt es ja, um nur zwei Exemplare aus der Musikszene zu nennen, keine Tenöre und Trompeter mehr, wie Jonas Kaufmann den jungen Israeli Itamar Borochov, sondern nur noch Ausnahmetenöre und Startrompeter. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Sterne aus künstlerischen oder rein Marketing getriebenen Gründen ausnehmend hell strahlen: Hauptsache es wird flächendeckend gestrahlt. Dieses pauschalisierende und unverbindliche Hochjubeln ermüdet den Musik-Konsumenten und bietet ob seiner Unverbindlichkeit keinerlei Entscheidungskriterium für den Erwerb dieses oder jenes Albums. Am Besten, wir verzichten auf den Gebrauch dieser abgegriffenen und komplett inhaltslosen Jubelbegriffe und wenden diese Aufforderung unverzüglich auf den Exponenten des Albums Boomerang, auf den Trompeter Itamar Borochov an, der in sämtlichen bislang verfügbarenvorliegenden Rezensionen als “Stern” oder als “Star” verkauft wird. Und das auch deshalb, weil er dank seines unbestrittigen Könnens diese Sorte Bejubelung durch die Presse gar nicht nötig hat.
Auf Boomerang erleben wir Itamar Borochov als Trompeter im Verbund seines aktuellen Quartetts, dem außerdem sein Bruder Avri Borochov am Bass, Michael King am Piano, und der Schlagzeuger Jay Sawyer angehören. Aufgewachsen in Israel hat der Trompeter die Einflüsse arabischen und afrikanischen musizierens gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen. In New York erweiterte er seinen musikalischen Horizont in Richtung Jazz. Spätestens nach dem Besuch der New School for Jazz and Contemporary Music war für ihn klar, dass seine in der israelischen Heimat gewonnene musikalische Orientierung am besten im Jazz zum Ausdruck kommen würde. Die New Yorker Jazz Clubs bestätigten ihn in seiner Entscheidung, die Welt des zeitgenössischen Jazz als Trompeter und Komponist als die seinige zu erobern, und die Reaktion des Publikums bestätigte ihn ebenfalls in seiner Entscheidung.
Auf seinem Ende 2015 in Paris aufgenommenen Album Bommerang läßt sich nachvollziehen, dass Itamar Borochov die westliche und nahöstliche Klangwelt verschmelzend seinen höchst eigenen Stil im Jazz gefunden hat. Der nahöstlichen Klangwelt begegnen wir dabei abgewandelt, jedoch als solche tatsächlich erkennbar nur in Eastern Lullaby. Ansonsten kann diese Klangwelt lediglich entfernt durch die eine oder andere Wendung im Spiel des Pianisten oder eine plötzliche Wendung der Bearbeitung des Schlagzeugs ausgemacht werden, so stark ist sie in einen völlig neuen Sound und einen überraschend variablen Rhytmus ebenso sublimiert wie typische Wendungen und Stimmungen aus der westlichen Klangwelt des Jazz, die man hier und da ähnlich einem Déja Vue als solche kurz erahnt, bevor sie sich dann doch als Elemente der höchst eigenen Klangsprache Itamar Borochovs erweisen.
Per Tangerines, dem schlagzeug- und basslosen, kurzen Einstiegssong, in dem die Trompete auf den Wellenbewegungen des Pianosounds schwerelos surft und sich bis in höchste Höhen wagt, wird man als Zuhörer sanft aber unwiderstehlich in den Bann dessen gezogen, was da noch kommt, bereits ahnend, dass man unvermeidlich an neuen Ufern landen und bis dahin allerlei Ungewohntes erleben wird. Ohne die Notwenigkeit, durch allzu schräge Dissonanzen Aufmerksamkeit erregen zu müssen, singen Trompete und Piano anschließend in Shimshon über nahezu zehn Minuten das Lied des neu gewonnenen Freiheit, die nur zu schätzen weiß, wer die Erfahrung machen durfte, dass die wahre und einzige Wahrheit niemals allein im Land der eigenen Herkunft und der überkommenen Tradition gefunden werden kann. Schlagzeug und Bass bestätigen diese Erkenntnis ausgiebig. Miles Davis hätte seine Freude dran.
Jones Street erweist sich als der Ort, wo die Erzählung rasant an Fahrt aufnimmt um in Adon Alon in geraffter Form das bislang Erlebte resümieren und in Jaffa Tune Pläne für den Fortgang der Reise zu schmieden. Avri’s Tune erweist sich als Ruhepol der Reise, als Zeit, in der eine simpler, kurz angestimmter und schnell auf den Punkt gebrachter Song der Seele gut tut. Ça va bien tut danach der Physis durch flotte Fortbewegung gut, was nicht ausschließt, dass man sich in Kreisen Quartetts dabei angeregt unterhält und schließlich übereinkommt im Wanderer Song in der Art eines Fanz Schubert des Wanderes Freud und Leid zu reflektieren und dabei auf halbem Weg zu erkennen und durch Stimmungsumschwung zu dokumentieren, dass der nicht unbedingt ein Müllersbursch zu sein braucht. Im abschließenden Gebet, dem Song Prayer stimmt das Piano sanft umspielt von der Trompete eine Art Bachschen Choral an, der das Album Boomerang zum würdigen Abschluss führt.
Eine großartiges Album, auf dem neue musikalische Pfade überzeugend beschritten werden. Ein Album, das sich allerfeinster Aufnahmetechnik erfreut, die vergessen macht, dass zwischen dem was man hört und dem Aufnahmeort einiges an Hardware eingesetzt ist, so natürlich tönt das Itamar Borochov Quartett auf Boomerang.
Itamar Borochov, trumpet, vocals (on track 9)
Michael King, piano
Avri Borochov, bass, oud (on tracks 8, 9), Sazbush, vocals (on track 9)
Jay Sawyer, drums
Guest musician:
Yisrael Borochov, Jumbush, vocals (on track 9)