Unter Orchester-Musikern gelten Klavier und Orgel als schwierige Instrumente, weil ihre Töne so sinustreu und definiert sind. Und wie ist das, wenn eine Orgel und ein Bechstein-Flügel die einzigen Instrumente sind, die miteinander harmonieren sollen? Sie harmonieren, besonders auf Alles Licht, dem jüngsten Album von Ulrike Haage.
Haage ist einigen vielleicht noch ein Begriff aus der Zeit, als sie für Katharina Franck bei den Rainbirds die Tasten spielte, als Pianistin der ersten deutschen Frauenbigband Reichlich Weiblich oder als Komponistin, vielleicht aber auch als Gewinnerin des Deutschen Jazzpreises 2003 oder des Günter-Eich Preises für ihr Hörspiel-Lebenswerk 2022. Und falls nicht, zeugt dieser kleine Auszug bereits von einer ausgesprochen vielseitigen wie ausgezeichneten Künstlerin. Das spiegelt sich auch in ihrem jüngsten Album wider.
Alles Licht ist eine integrative Komposition aus elf Stücken, die ineinander verwoben wirken, auch wenn jedes für sich allein stehen können. Zwei der Titel sind wie Klammern in Variation zu finden, zum einen Alles Licht, das noch einmal als Reprise und einmal als Coda ertönt, zum anderen Window of Enlightenment, dem ebenfalls eine Coda als Variation beigegeben ist.
In ihrem jüngsten Klangspiel fügt Haage Piano und Orgel sehr clever zusammen. Die Aufgaben sind hierbei klar verteilt: Das Piano sorgt für den Hauptanteil an Melodik und Harmonie, die Orgel für Begleitung, Wechselspiel, Hintergrund, die Stimmung, das Bassfundament und die spielerisch wie physikalisch luftige Atmosphäre.
Diese Kombination macht Alles Licht zu einem sehr feinfühligen, sensiblen Album, das trotz seiner cleveren Komplexität eine überraschende Leichtigkeit versprüht und fraglos entspannt. Der einzige Bruch findet sich akustisch gesehen in Kaddish (Ravel Reimagined), wobei sich mir weder der Aspekt des Gebets noch der Maurice Ravels so recht offenbaren wollen. Aber geschenkt.
Denn in Summe fließt die Musik so zauberhaft wie ernsthaft in die letzten Klänge des Schlussstückes Alles Licht (Coda), nach denen es sich in einen feinen Nachhall im Hörer verliert, dass nach einer Stunde und fast 15 Minuten vor allem Wohlgefühl nachklingt.
Das ist gesponnen?
Hören Sie selbst. Und lassen Sie sich von Raum, Energie und Klangfülle nicht aus dem Sessel wehen, falls Sie die Lautstärke konzertant anheben. Denn Alles Licht ist in jeder Hinsicht ein klangmächtiges Album. (Thomas Semmler, HighResMac)
Ulrike Haage, Klavier & Orgel
Daniel Stickan, Orgel