Die Macher dieses Albums liefern einen Jazz ab , der sehr frei und zutiefst experimentell daherkommt und der mit seiner äußerst modernen Gangart sicherlich nicht jedermanns Sache ist. Das hier ist kein Free Jazz, der sich durch freies und ungebundenes Musizieren definiert. Das ist eine Art, den Jazz durch Cluster, Sampeln und weitgehendem Stillstand von musikalischem Verlauf zu definieren. Auch wenn es etwas Ähnliches hie und da schon gegeben hat, so radikal wie auf Diatom Ribbons wurde diese Art von Jazz bislang nicht dargeboten. Und dies nicht einmal von Kris Davis als Bandleader auf vierzehn Alben. Und natürlich von Ihren gleichgestimmten Mitspielern. Dieser Jazz ist kein Crossover mit afrikanischer Musik, wie an anderer Stelle zu lesen. Nein, er ist schon eher ein avantgardistisches Crossover mit sogenannter moderner klassischer Musik, die mitunter in ähnlicher Art und Weise auf der Stelle tritt und frei von der Anmutung jeglicher Melodie oder herkömmlichem musikalischem Gebaren Geräusche hervorbringt, die sich letztendlich, wenn denn alles gut geht, zu einem abstrakten Abbild der Vorstellung des Komponisten von einer teilweise arg gegen den Strich konventionellen Musizierens zu einer Art Abstraktion eines musikalischem Ablaufs fügen. Man muss das mögen.
Wer das mag, kommt mit Diatom Ribbons auf seine Kosten. Ohne jeden Zweifel haben wir es bei Kris Davis um eine hoch talentierte Pianisten zu tun, die um sich eine Band mit instrumentell hochgradigen Könnern versammelt hat, mit Kern Nels Cline und Marc Ribot, Gitarre, und Esperanza Spalding, Vocals. Dazu gesellen sich Val Jeanty, Elektronik, Terri Lyne Carrington am Schlagzeug, Trevor Dunn, Bass, Tony Malab und JD Allen, Tenorsaxophon, sowie Ches Smith, Vibraphon. Einen deutlichen Vorgeschmack, wohin die Reise auf Diatom Ribbons geht, bekommt man mit dem Titelstück, das einleitend vor dem gespenstisch im Hintergrund klanglich verfremdet, abgehackt werkelnden Piano mit blitzartig aufleuchtenden Schlagzeugeinwürfen ein Sample eines gesprochenen Statements des Pianisten Cecil Taylor zu seine höchst eigenwilligen Art des Klavierspiels zu Gehör gebracht. Kaum ist dieses Statements zu Ende stürzt sich die Band mit vollem Einsatz in rhythmisch geradezu irre Abenteuer, die bei aller Hitze des Einsatzes sich letztlich wie eingefroren auftürmen und eine krass strukturierte Gletscherlandschaft bilden. Das hat etwas.
Wie es sich für echte Avantgarde geziemt, gehört Chaos immer wieder zum Repertoire. Einen irren Mix chaotischer Motive findet sich in „Golgi Complex“, einer der acht Kompositionen von Chris Davis auf diesem Album mit insgesamt 10 Titeln. Als Motor des Chaos erweisen sich schräge Dissonanzen und kontrastreich aufeinanderprallende Rhythmen. Wer die in „Golgi Complex“ aufgespannte klangliche Welt zu genießen vermag, hat schon gewonnen: Für den erschließen sich auch die Stücke auf Diatom Ribbons auf Anhieb ohne Probleme. Alle anderen dürften diesen extrem avantgardistischen Jazz entweder ablehnen oder aber bereit und aufgeschlossen sein, sich mit ihm auseinanderzusetzen, um im Laufe der Zeit Zugang zu ihm zu erhalten.
Esperanza Spalding, Gesang
JD Allen, Tenorsaxofon
Tony Malaby, Tenorsaxofon
Ches Smith, Vibrafon
Nels Cline, Gitarre
Marc Ribot, Gitarre
Trevor Dunn, E-Bass
Val Jeanty, Turntable
Terri Lyne Carrington, Schlagzeug
Kris Davis, Klavier