Das nach wie vor weltweit bekannteste Werk des russischen Komponisten Sergei Prokofjew ist sein Musikmärchen Peter und der Wolf aus dem Jahre 1936. Pädagogisches Ziel des von einem Sprecher erzählten Märchens ist es, Kinder mit den Instrumenten eines Sinfonieorchesters vertraut zu machen. Seine kurze und vor Lebensfreude nur so sprühende Klassische Sinfonie, die Joseph Haydn parodistisch ins 20. Jahrhundert beamt, erfreut sich beim Konzertpublikum ähnlicher Beliebtheit wie Peter und der Wolf bei Kindern. Ansonsten ist Prokofjew mit seinen das gesamte Spektrum der klassischen abdeckenden Musikwerken, einschließlich Filmmusik (Eisensteins Ivan der Schreckliche), bis heute nicht durchgehend beim Konzertpublikum angekommen. Seine teilweise wilde, dissonante Musik (Klavierkonzerte) wurde noch in den sechziger Jahren zusammen mit Strawinskis Sacre du Printemps als schiere Provokation empfunden. Das hat sich zwar seitdem gegeben, trotzdem bleibt ein Rest an Unverträglichkeit mancher Musikstücke.
Dazu gehört auch die Sonate Nr. 6, die 1940 ihre Erstaufführung erlebte, nicht jedoch das zweite Stück dieses Albums, die Visions fugitives, die im Zeitraum 1915 bis 1917 entstanden sind. Dieser Zyklus des jungen Komponisten enthält zwar bereits auf dissonante Harmonien, stützt sich jedoch im Übrigen auf die herkömmlichen Konzepte von Tonalität und Rhythmus bei. Dieser Zyklus offenbart den auch die später von Prokofjew immer wieder lustvoll gepflegten Sinn für Skurrilität und leuchtende Klangfarben, wie etwa im Ballett Romeo und Julia, jedoch mit dem Unterschied, dass die Vision fugitives in der Welt des damals verbreiteten Impressionismus angesiedelt sind. Die damit einhergehende Weichheit des Klangs und die verwischt präsentierten Klangfarben erfordern einen pianistischen Ansatz, der näher an Debussy liegt als am später eher grell intonierenden Prokofjew. Vadym Kholodenko, der 1986 geborene ukrainische Pianist dieses Albums erfüllt diese Forderung mit seiner dahinperlenden Artikulation, seinem geschmackvollem Einsatz von Rubato und einem stets singenden Ton, der im Leisen an Sanftheit zulegt, ohne Struktur zu verlieren, geradezu ideal. Hinzu kommt, dass der für diese Aufnahme eingesetzte Fazioli Flügel diese Spielweise kongenial unterstützt.
Das heißt jedoch nicht, dass der Fazioli Flügel das wild zerklüfteten Klangpanorama der Sonate Nr. 6 nicht perfekt meistern könnte. Im Gegenteil, vom Pianisten ganz zu schweigen. Die in tonartfreien Modulationen eingebetteten scharfen Dissonanzen im ersten Satz werden von Vadym Kholodenko enorm energiegeladen herausgemeißelt. Dasselbe gilt für die Stakkato-Akkorde, die man auch im ersten Klavierkonzert Prokofjews antrifft und die im zweiten, marschähnlichen Satz der Sonate von fast fröhlich dahinfedernden Passagen eingerahmt werden. Auf den von Vadym Kholodenko stimmungsmäßig voll ausgekosteten langsamen Walzer des dritten Satzes folgt der letzte, der vierte Satz, der als Rondo in der dissonanten, tonartfreien Welt des ersten Satzes angesiedelt ist. Die stählerne Unerbittlichkeit der 6. Prokofjew Sonate mit ihren wenigen zarten Einwürfen wird vom ukrainischen Pianisten in umwerfender Manier abgeliefert. Sowohl die Sonate wie die Visions fugitives machen Verständlich, dass Sergei Prokofjew der Lieblingskomponist dieses Klangmagiers am Klavier ist.
Vadym Kholodenko, Klavier