Die Älteren unter uns erinnern sich an Martin Luther King als „herausragenden Vertreter im Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit, der zwischen Mitte der 1950er und Mitte der 1960er Jahre der bekannteste Sprecher der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung war und den zivilen Ungehorsam als Mittel gegen die politische Praxis der Rassentrennung in den Südstaaten der USA propagierte“ (Quelle: WIKIPEDIA). Ist Otis Taylor so etwas wie der Martin Luther King der US Blues-Szene? Das hieße ihm denn wohl doch zu viel der Ehre antun. Eher schon darf man Otis Taylor als singenden Historiker der Leidensgeschichte des afro-amerikanischen Teils der US-Bevölkerung bezeichnen – jedenfalls was sein neuestes Album Fantasizing About Being Black angeht. Tatsächlich gelingt es Otis Taylor mit wenigen Worten und stimmungsvollen Melodien Leben und Leiden der Black People in den Songs seines fünfzehnten Albums stimmungsvoll auf den Punkt zu bringen. Instrumental kongenial unterstützt wird Otis Taylor, der sich selbst auf der Gitarre und dem Banjo begleitet von Larry Thompson am Schlagzeug, Todd Edmunds am Bass, von Ron Miles mit seinem Kornett, vom Gitarristen Brandon Niederauer und last but not least Jerry Douglas, Lap-Steel-Gitarre. Anne Harris sorgt mit ihrem farbigen Geigenspiel in zwei Songs für träumerische Bluesstimmung. Obwohl nicht sämtliche Instrumentalisten in allen Songs aktiv sind, sorgen sie – wann immer dies angemessen ist – für einen voluminösen, satten Sound.
Mit dem Eröffnungssong „Twelve String Mile“ versetzen uns primär Kornett und Lap-Gitarre in eine 80 Jahre zurückliegende, quälend bedrückende Südstaaten-Szene, in der Otis Taylor vom traurigen Schicksal eines zu Tode gejagten Schwarzen erzählt. Durch flamencoartigen Rhythmus nur scheinbar aufgehellt handelt „Walk in Water“ von der unvermeidlich traurig verlaufenden Geschichte eines gemischtrassigen Paars. Langsam aber sicher an den Rand des Wahnsinns wird, nahezu bildlich dargestellt durch eine kreisende Banjo-Melodie, ein gefesselter Sklave in „Banjo Bam Bam“ getrieben. In „Hands On Your Stomach” sind es vom Kornett herbeigerufene Geister, die eine Frau in den Irrsinn treiben wollen. „Jump Jelly Belly” erzähl, von einem schwarzen Soldaten, der beim Lastenverteilen unglücklich zwischen zwei Schiffe gelangt. Wiederum obliegt es dem Kornett, die bedrohliche Stimmung heraufzubeschwören. Sämtliche dieser Songs waren auf früheren Otis Taylor Alben schon einmal zu hören, wenn auch in teilweise krass unterschiedlichen Arrangements.
Die restlichen Songs auf Fantasizing About Being Black sind komplett neu. Auf „Tripping On This“ begegnet ein Vater nach einem halben Leben seinem gemischtrassigen Sohn erneut. Die eigenartige Stimmung dieses glücklich/unglücklichen Ereignisses bringt uns Otis Tylor unterstützt von einem Elektrobanjo überzeugend näher. Die Zeit der ersten Civil Rights Märsche wird in „Jump Out of Line“ zusammen mit den damit einhergehenden Ängsten besungen. Nicht gerade selten verliebten sich auch Weiße aus höheren Kreisen in schwarze Frauen. In „Just Want to Live With You“ geht es genau um eine solche „Mesalliance”, deren Existenz seinerzeit von der „besseren“ Gesellschaft als ungehörig empfunden wurde. Die beiden Gitarristen Taylor und Niederauer schildern die damit einhergehende Stimmungslage eindrucksvoll. „Roll Down The Hill“ kündet vom tapferen schwarzen Mann, der sich auch von wiederholt üblen Misshandlungen ebenso wenig unterkriegen lässt, wie der Protagonist in „Jump to Mexico“, der letztendlich aus einem Fenster im zweiten Stock springt, um dem ungerechten Urteil eines weißen Richters zu entgehen.
Möge dieses aufrüttelnde, künstlerisch gelungene Otis Taylor Album dazu beitragen, dass seine Landsleute der zunehmend gegen alles Fremde gerichteten Stimmung nicht noch stärker anheimfallen als dies aktuell der Fall ist. Und möge es bitte auch diesseits des Atlantiks gegen Fremdenfeindlichkeit positive Wirkung entfalten.
Otis Taylor, Gesang, Gitarre, Banjo
Brandon Niederauer, Gitarre
Jerry Douglas, Koaholz Lap-Gitarre
Anne Harris, Geige
Ron Miles, Kornett
Todd Edmunds, Bass
Larry Thompson, Schlagzeug