Im Lauf der gut hundertjährigen Geschichte des Jazz haben sich die unterschiedlichsten Stile ausgebildet und entwickelt. Revolutionäre und evolutionäre Stile halten sich die Waage. Die Akzeptanz der beiden Stile durch das Publikum hängt davon ab, wie provokant diese daherkommen, mit anderen Worten, wie eingängig der jeweilige Stil ist bzw. als wie gewöhnungsbedürftig bis schmerzhaft er empfunden wird. Die erstere Variante der Akzeptanz erlaubt es dem Publikum, entspannt zu genießen, während die zweite Variante erfordert, sich intellektuell mit der Musik auseinanderzusetzen, sie verstehen zu lernen, was durchaus sehr anstrengend sein kann, da nicht immer zum Genuss des Gebotenen führend. Zur ersten, mit sofortigem Genuss verbundenen Variante gehört Incontre, das zehn Jahre nach einem geglückten Solo-Debut-Album solo Persona nunmehr erschienene Album Incontre des Bassisten, Komponisten und Produzenten Massimo Biolcati, auf dem sehr anhörbarer, spontan genießbarer, jedoch jederzeit hinreißend spannender und abwechslungsreich instrumentierter Jazz festgehalten ist. Neben Massimo Biolcati am Kontrabass sind auf Incontre Dayna Stephens, Tenor- und Baritonsaxophon, Sam Yahel, Piano und Hammond B-3-Orgel, und Jongkuk Kim am Schlagzeug zu hören, sämtliche Meister ihres Fachs.
Von den Titeln auf Incontre stammen etwa die Hälfte aus der Feder Biolcatis, während der Rest auf Kompositionen von Mingus, Monk, and Dave Holland zurückgeht. Der Eröffnungstitel „Hello, I Lied“ von Massimo Biolcati basiert auf einer bereits früher von ihm gefeaturten und mit dem Pianisten und Schlagzeuger auf Incontre des Öfteren zur Aufführung gebrachten Basslinie. Dieser Titel darf als Spaß bringendes Heimspiel für das Quartett verstanden werden und Massimo Biolcati äußert sich dazu wie folgt: „Er entstand aus einer Basslinie, die ich vor ein paar Jahren geschrieben habe. Er hat einen trügerischen Rhythmus (eine Art Schwindel), und da ich ihn bei verschiedenen Gelegenheiten sowohl mit J.K. als auch mit Sam gespielt habe, wusste ich, dass sie Spaß daran haben und seine Möglichkeiten erkunden würden.“ Monk hat „Boo Boo's Birthday“ für Art Blakey komponiert. Typisch Monk zeichnet sich dieser Titel durch einfallsreiche rhythmische Wendungen aus, die vom Saxophonisten lustvoll ausgekostet werden. Massimo Biolcati präsentiert eine langsame Variante des Charlie-Chaplin-Liedes "Smile". Die Hammondorgel sorgt hier im Zusammenspiel mit dem Sopransaxophon für eine ungemein farbige Begleitung.
Den Popsong „Everybody Wants to Rule The World“ von Tears for Fears erlebt man auf Incontre rhythmisch raffiniert verfremdet und instrumental zugeschnitten auf das Duo aus Saxophon und Klavier. Ein wahrer Spaßbringer. Dies gilt auch für den Mingus-Titel „Duke Ellington's Sound of Love“ in einem Arrangement, in dem der Sound der Hammondorgel mit demjenigen des Baritonsaxophons wohlig verschmilzt. „How Never“ erweist sich als virtuoses Vehikel für den Kontrabassisten und Biolcatis „Fellini“ entführt den Zuhörer in romantische Gefilde, die der italienische Filmemacher in seinen Werken der fünfziger- und sechziger Jahren unvergleichlich auf die Leinwand gezaubert hat. „Birthday Song“ und „Almost“ sind zwei weitere Beiträge Biolcatis auf Incontre, in denen die perfekte Interaktion der Musiker des Quartetts zu bewundern ist.
Es hat sich gelohnt, auf das überaus gelungene Album Incontre zu warten. Möge das nächste Album von und mit Massimo Biolcati nicht wieder zehn Jahre auf sich warten lassen.
Massimo Biolcati, Kontra bass
Dayna Stephens, Tenorsaxofon, Sopransaxofon, Baritonsaxofon
Sam Yahel, Klavier, Orgel
Jongkuk Kim, Schlagzeug