Was die junge norwegische Sopranistin Lisa in Gestalt ihres zweiten Decca-Albums abliefert ist nicht nur aller Ehren wert, sondern eine überaus erfreuliche Botschaft an alle Opern-Fans weltweit: es gibt sie weiterhin, die wirklich guten Sängerinnen. Als Nachwuchsstar apostrophiert und vermarktet wird auch hier wieder einmal alles getan, um Hype hervorzurufen. Mit diesem Hype heißt es für Künstler und Künstlerinnen achtsam umzugehen, besteht doch stets die Gefahr, sein Talent den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen und nach kurzer heftiger Karriere überforderungsbedingt die weiße Fahne zu hissen. Lise Davidson weiß offenbar von dieser Gefahr, wehrt sie sich doch dagegen, bereits in Ihren sehr jungen Jahren zu stark als Wagnersängerin eingesetzt zu werden. Das hielt sie nicht davon ab, für ihr vor zwei Jahren erschienenes Debutalbum neben die Stimme arg beanspruchenden Kompositionen des Bayreuther Meisters nicht weniger die Stimme belastende Kompositionen von Richard Straus aufzunehmen. Dabei soll es aber neben vorsichtig mit Wagner-Werken dosierten Opernauftritten und sämtlichen Wesendonck-Liedern auf ihrem aktuellen zweiten Album vorerst bleiben. Ein wahrlich stimmschonender Vorsatz.
Tatsächlich bilden Wagners Wesendonck-Lieder einen gesanglichen Höhepunkt auf dem neuen Album. Diese fünf Lieder, die Studien für Tristan und Isolde sein sollen, realisiert Lise Davidson mit vibrierend tönender, völlig fokussierter Stimme mit glorreich erzeugten hohen Tönen. Das wunderbare dabei ist, dass diese Sopranistin hier zwar ihre große Stimme nicht versteckt, diese jedoch derart führt, dass der Zuhörer nicht in Ehrfurcht erstarrt, sondern vielmehr unwiderstehlich in die komplexe Gefühlswelt der Wesendonck-Lieder hineingezogen wird.
Nicht viel anders ergeht es dem Zuhörer im Falle der großen Arie von Beethovens Leonore, die Rolle, in der Lise Davidson letztes Jahr an der Londoner Royal Opera einen starken Eindruck hinterließ, bevor der Lockdown begann und weitere Aufführungen unmöglich machte. Zu hören ist auch auf dem Album eine glaubhasft gesungene fröhliche, unsichere und doch unerschrockene Heldin.
Lise Davidsens Sopran zeichnet sich durch einen hellen Glanz und eine enorme Bandbreite in einem Maße aus, das ihr unmittelbare Konkurrenz heute tätiger Sopranistinnen fernhält. Sie ist keine Sängerin, die aus jedem Stimmungsumschwung eine großes Wesen macht. Feinstrukturelle der Stimmung und Klangfarben beachtet sie jedoch peinlich genau. Hierin zeigt sich ihre unverwechselbare individuelle Stärke. In der Arie der Santuzza aus Cavalleria Rusticana beweist sie große Gestaltungskraft. Diese ist auch der Arie aus Cherubinis Oper Medea zu konstatieren, die sie mit schnell vibrierendem Ton gestaltet, der beträchtliche Coolness ausstrahlt. Und in Desdemonas Gebet aus Verdis Otello erlaubt es ihre Gestaltungskraft die große Anspannung, die sich hinter der wunderschönen, zutiefst bewegenden und perfekt gesungenen Arie verbirgt, zwischen den Zeilen zu vermitteln.
Auf ihrem durchweg gelungenen neuen Album wird Lise Davidson vom London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Sir Mark Elder durchweg dramatisch engagiert, einfühlsam begleitet.
Lise Davidsen, Sopran
London Philharmonic Orchestra
Sir Mark Elder, Dirigent