Das Norwegische Label 2L war von Anfang an dabei, als es darum ging, die audiophil orientierte Hörerschaft großflächig davon zu überzeugen, dass hoch- und höchstaufgelöste digitale Tonaufnahmen analogen Aufnahmen ebenbürtig, ja sogar überlegen sein können, wenn man sich beim Aufnahmeprozess die dafür erforderliche Mühe gibt. Schnell sprach es sich herum, dass die Aufnahmen der Norweger audiophile Extraklasse sind. Zu Beginn gab es 2L-Produktionen auf Blu-rays. Zwischenzeitlich veröffentlicht auch 2L überwiegend im tonträgerfreien Download-Format. 2L begreift sich offenbar auch als Promoter für Künstler Norwegischen Ursprungs, wie des Pianisten Christian Grøvlen, der dem Hörer mit dem ausschließlich J.S. Bach gewidmeten Album BACH - Inside Polyphony zu neuen Einblicken in die vielstimmige Welt des Leipziger Übermusikers verhelfen möchte.
Im Booklet kann man nachlesen, dass Christian Grøvlen als Klaviereleve nach einer Phase anfänglicher Begeisterung für Bachs Präludien und Fugen für Tasteninstrumente über etliche Jahre Bach völlig aus den Augen verloren hatte, bis er schließlich als nach wie vor junger Profi des Klavierspiels von heute auf morgen erneut der Bachschen Vielstimmigkeit verfiel. Der Liebe auf den zweiten Blick sagt man ja nach, dass sie eher von Dauer und letztlich intensiver ist als diejenige auf den ersten Blick. Im Falle von Christian Grøvlen hat sie jedenfalls schlussendlich dazu geführt, dass die Produzenten von 2L die Einsichten, die ihr klavierspielender Landsmanns nach ausführlicher Auseinandersetzung mit Werken Bachs von der Welt des berühmtesten aller Thomaskantoren gewonnen hat, auf einem Album, dem ersten des Pianisten überhaupt, zu bannen.
Christian Grøvlen nennt Andras Schiff als Idol. Dessen abgeklärte und enorm farbige Art Bach zu spielen ahmt er jedoch glücklicherweise ebenso wenig nach wie die nervöse Spielweise des Bach-Revoluzzers Glenn Gould. Vielmehr pflegt Christian Grøvlen eine leichte, quirlige, ja geradezu jugendlich unbeschwerte Art, Bach zu spielen. Das selbstgesetzte ehrgeizige Ziel, luzide Vielstimmigkeit durch vollständig unabhängige Stimmenführung herzustellen, beherrscht er perfekt. Das kommt der Struktur der Kompositionen zugute, die sich dem Hörer mühelos selbst bei starker Verflechtung der Stimmen erschließt. Ein hoher Grad an Fingerfertigkeit beweist der Pianist in den bewegten Sätzen durch ein mitunter rasantes Tempo, das der Gestaltung nur wenig Raum lässt. Wie das spannend gestaltet werden kann, ist bei Glenn Gould nachhörbar. Wie langsamere Sätze mit Inhalt, mit Sinn erfüllt werden können demonstriert souverän Andras Schiff. Es ist wohl der Jugend von Christian Grøvlen zuzuschreiben, dass ihn die komplexe Form der Bachschen Kompositionen stärker interessiert und herausfordert als deren Inhalte. Spannend wird es deshalb sein, wie der norwegische Pianist die polyphonen Kunstwerke Bachs in fünf oder zehn Jahren aufführen wird, ob er seiner unzweifelhaft virtuosen Technik mehr Innerlichkeit verleihen wird, oder ob er auf der vorwiegend virtuosen Schiene verharrt.
Den charakteristischen Sound des Labels 2L, der durch unerreichte Klarheit gekennzeichnet ist, veredelt die auf Klarheit ausgerichteten Bach-Interrationen des norwegischen Pianisten.
Christian Grøvlen, Klavier